Sie stehen fest: Die diesjährigen Gewinnerinnen und die diesjährigen Gewinner unseres gemeinsamen Schreibwettbewerbs mit der Münchner Bücherschau Junior und des Friedrich Bödecker-Kreises Bayern.
Fast 70 Einsendungen haben uns erreicht, wir haben sie alle mehrfach sorgfältig gelesen und gesichtet und schließlich – und das ist uns sehr, sehr schwer gefallen, weil alle so gut waren – fünf preiswürdige Geschichten herausgepickt. Es gab jeweils einen Platz in drei Altersklassen und zwei Sonderpreisen und eine Gesamtgewinnerin (die gleichzeitig auch die Siegerin ihrer Altersklasse ist).
Die siebenjährige Emma aus Markt Schwaben hat also nicht nur in ihrer Altersgruppe die tollste Geschichte geschrieben, sondern mit „Wellis Bergabenteuer“ auch den Gesamtwettbewerb gewonnen. Sie darf sich auf eine exklusive Lesung mit Isarautorin Wiebke Rhodius freuen für ihre ganze Klasse und bekommt außerdem noch ein Exemplar des Buches „Komm mit in die Berge“ (Schneiderbuch) der Isarautorinnen und Isarautoren – das am Dienstag, 21. März erscheinen wird. Dieses Buch und eine offizielle Urkunde gab es übrigens auch für die anderen vier Siegergeschichten. Überreicht wurden die Urkunden und Preise von Isarautorin Meike Haas und Birgit Franz von der Münchner Bücherschau Junior.
Der jüngste Teilnehmer Severin, 6 Jahre, bekam den Sonderpreis für eine besonders farbenprächtige Geschichte – er hat „Das Kinderzimmermonster“ nämlich zusätzlich illustriert. Die elfjährige Aurelia hat einen Sonderpreis erhalten für eine besonders feinfühlige Geschichte über ein Mädchen, das plötzlich taub ist: „Wenn die Welt sich nicht mehr anhört“. Von Carla kommt die beste Idee in der Altersgruppe bis 10. Sie hat „Das Dorf der Alpentiere“ geschrieben. In der ältesten Altersgruppe hat der elfjährige Paul Jakob gewonnen. Seine Geschichte heißt: „Die Berghexe und das Alpenkrokodil“.
Herzlichen Glückwunsch von allen IsarautorInnen für die großartige kreative Leistung!
Und das ist sie, die beste Geschichte des Jahres 2023 (keine Sorge, auch im nächsten Jahr gibt es wieder ganz viele neue erste Sätze und der Schreibwettbewerb geht in die nächste Runde)
Wellis Bergabenteuer
„Keinen einzigen Schritt laufe ich mehr,“ sagte Welli, das kleine Schaf. Er war mit seiner Mutter Wolline und seinem Vater Wolle in den Bergen. Sie waren auf dem Weg zu einer Abenteuer-Berghütte. Dort wollten sie eine Woche wohnen und tolle Wanderungen unternehmen. Von zu Hause waren sie mit dem Auto bis zum Fuß des Berges Lura gefahren. Von dort mussten sie vier Stunden bis zur Hütte laufen. Zwei Stunden waren sie schon gewandert. Der Weg war lustig. Überall standen Steinmännchen und auf einer Bergwiese purzelten tatsächlich Murmeltiere herum. Doch dann war es immer steiler geworden. In seinem Fell war Welli viel zu heiß. Seine Hufe taten ihm schon weh. Er wollte keinen Schritt mehr weitergehen. Er setzte sich auf einen Stein und schaute bockig seine Eltern an.
Wolle sagte: „Wir gehen jetzt weiter. Wir wollen ja zur Berghütte.“ Aber Wolline dachte, Welli könnte eine Pause brauchen. Sie schlug vor: „Komm, wir setzen uns dort drüben auf die Steine und machen erst einmal eine Brotzeit.“ „Endlich eine Pause,“ grummelte Welli. Dann gingen die Schafe zu den Steinen, die auf der Bergwiese lagen, und setzten sich gemütlich hin. Sie packten ihre Brotzeit aus. Sie hatten eine Dose mit leckerem Rucola, drei Flaschen mit frischem Wasser und ein paar Zweige mit besonders guten Blättern dabei. Die Sachen schmeckten ihnen seeeehr gut!
Auf einmal kam ein Murmeltier den Berg herunter gekullert. Genau vor Wellis Hufen bremste es ab und sagte: „Halli-halli-hallo, ich heiße Murmi. Ich habe Dich von ganz oben mit meinem Fernglas gesehen. Ich wohne hier auf dem Lura. Kommt mit mir nach oben, dann zeige ich Euch, wo ich wohne.“ Welli rief: „Au ja!“
Schnell packten sie die Sachen ein. Welli hatte ganz vergessen, dass er nicht mehr laufen wollte. Gestärkt und fröhlich gingen sie wieder los. Murmi zeigte Welli, wie man einen Purzelbaum bergauf macht, ohne runter zu kullern. Mit Murmi machte es viel Spaß, den Berg hoch zu gehen. „Schau mal, Welli, dort hinten ist die Abenteuerhütte,“ rief Murmi. „Bald sind wir da.“
Sie mussten noch drei Kurven gehen, dann waren sie da. „Juhu,“ rief Welli. Die Hütte war ganz aus Holz und hatte ein Hirschgeweih an der Tür. An den Fenstern hingen Kästen mit wunderschönen Blumen. Neben der Tür war ein Tisch mit zwei Bänken. Die Schafe gingen zur Rezeption und meldeten sich an. „Für sie sind die allerschönsten Zimmer reserviert,“ sagte die Bergziege am Empfang.
Wolle und Wolline brachten alles in die Zimmer und bereiteten ihre Sachen für die Urlaubswoche vor. Wellis Kuscheltier legten sie auf sein Bett. Unterdessen rannte Welli schon mit Murmi auf den Gipfel. Sie spielten Fangen, Verstecken und Murmi zeigte Welli, wo er wohnte. Welli sagte: „Das wird ein voll schöner Urlaub.“ Er war wirklich froh, dass er Murmi getroffen hatte und doch weiter gegangen war.
Das ist die Geschichte von Carla, 10 Jahre, die in ihrer Altersgruppe bis 10 gewonnen hat:
Im Dorf der Alpentiere
Berghexe Minni lässt sich aus dem Bett plumpsen und kullert durch ihre Berghexenhütte zur Uhu Uhr. Es war ein lauer Frühlingsmorgen und es schien alles friedlich zu sein, doch plötzlich brach der Boden unter ihr ein. Sie rutschte eine plötzlich auftauchende Rutsche herunter ins Berginnere. Als sie unten angekommen war schaute sie sich um, es sah aus wie ein Dorf. Auf einmal stürmten aus allen Häusern Tiere und riefen aufgeregt: „Alarm, ein Eindringling!“ Minni sagte mit sanfter Stimme: „Ich will euch nichts tun, denn ich bin eine gute Berghexe und heiße Minni und ich weiß noch nicht mal, wo ich bin!“
Ein weiser Hase klärte sie auf: „Du bist in dem Dorf der Alpentiere und würdest du uns einen Gefallen machen?“ „Ja, aber was soll ich denn machen?“ fragte Minni. „Vor ein paar Tagen wurde unsere Königin, Katze Layla, entführt“, antwortete der weise Hase, „von der bösen Filodora, vielleicht könntest du sie bitten, dass sie Layla freilässt, wenn du ihr einen Wunsch erfüllst, würdest du das für uns tun?“
„Ja, das würde ich tun“, versprach sie. „Wir sind dir sehr dankbar“, erklärte er. „Wenn du Fragen hast, kannst du dich an uns wenden.“
Also machte sich Minni auf den Weg zu Filodora. Die Tiere hatten ihr den Weg zu Filodoras Hütte beschrieben. Die Hütte stand ein wenig abseits des Dorfes. Als sie an der Hütte von Filodora angekommen war, klopfte sie an die dicke, dunkelbraune Tür aus Holz. Eine tiefe Stimme sagte: „Herein.“ Sie trat ein und sah eine alte runzelige Frau die Filodora sein musste. Minni bat sie: „Könntest du Katze Layla freilassen, wenn ich dir einen Wunsch erfülle?“ Mit der genauso tiefen Stimme wie vorhin antwortete sie: „Okay, du sollst mir den schönsten und wertvollsten Kristall bringen, den es
gibt. Dann lasse ich Layla frei.“ „Okay“, entschied Minni.
Minni ging zu den Tieren und fragte sie um Rat, ob sie vielleicht wüssten, wo es so einen Schatz gäbe. Der weise Hase antwortete ihr wieder: „Es gibt eine versteckte Tür, die nur von einer Berghexe gefunden und geöffnet werden kann. Da du eine bist, sollte das kein Problem sein. Hinter der Tür gibt es tausende wertvolle Schätze, dort wirst du den Kristall finden!“ Sie bedankte sich und machte sich sogleich auf die Suche. Schon bald fand sie die Tür in einem düsteren und kalten Gang. Nur die kleine Laterne die ihr die Tiere mitgegeben hatten, leuchtete. Minni drückte die metallisch schimmernde Klinke herunter und sie trat in den Raum. Es funkelte und glitzerte und an den Wänden standen Regale mit vielen Kisten und Schachteln. Sie nahm sich eine der Kisten, machte sie auf und sah den schönsten und wertvollsten Kristall, den es gab. Die Kiste machte sie wieder zu und steckte sie ein. Dann ging sie zu Filodora und gab ihr den Kristall. Diese war zufrieden und ließ, wie sie es versprochen hatte, Layla frei.
Die Dorfbewohner waren glücklich, dass ihre Königin wieder bei ihnen war. Sie waren Minni sehr dankbar und boten ihr an, sie jederzeit besuchen zu dürfen. Wenn sie Probleme hätte, könnte sie die Tiere um Hilfe bitten. Minni erklärte: „Gerne, aber könntet ihr mir sagen, wie ich denn wieder nach Hause komme?“ Diesmal antwortete ihr ein anderes Tier: „Wenn du dich unten auf die Rutsche stellst, wirst du mit magischer Energie heraufgezogen.“ Minni stieg gehorsam unten auf die Rutsche. Als sie schon ein Stückchen die Rutsche hinaufgezogen war verabschiedete sie sich: „Bis bald!“ und fuhr bis zum Rutschrand. Es war inzwischen Abend geworden und Minni dachte: „Was war das nur für ein aufregender Tag!“ Als sie noch einmal nach der Öffnung im Boden schauen wollte, war diese bereits geschlossen. Dann legte sie sich in ihr Bett und schlief schon bald darauf ein.
Mit dieser Geschichte hat Paul Jakob in der ältesten Altersgruppe gewonnen:
Die Berghexe und das Alpenkrokodil
Auf der Landkarte sehen die Alpen aus wie ein Krokodil. Das liegt ganz einfach daran, dass sie ein Krokodil sind. Kein normales Krokodil, freilich, aber ein groß gezaubertes Krokodil, also ein Riesenkrokodil. Dieses lebte vor 500 Jahren in Süddeutschland, etwa dort, wo heute die Alpen sind. Das Riesenkrokodil war gefürchtet, denn es klaute den Menschen das Vieh und fraß deren Ernte. Anfangs war es ein ganz gewöhnliches Krokodil gewesen, das von Amerika nach Europa an eine reiche Familie verkauft worden war. Nach seiner Flucht aus deren Haus hatte es massiv zugenommen, denn in dieser Gegend gab es sehr viele Bauern und das Krokodil konnte so viele Rinder essen, bis es fast vier Meter groß war. Aber eines Tages waren alle Bauern mit ihrem Vieh ausgewandert, denn es war ihnen zu unsicher in der Gegend geworden. So hatte das Krokodil, obwohl es ja noch mehr essen musste als normale Krokodile, keine Nahrung mehr. Auf der Suche nach Futter verirrte es sich und landete nach einigen Tagen bei einem windschiefes Hexenhäuschen. Es gehörte der Hexe Grusilla, und die war die zweite Plage zur damaligen Zeit. Sie war riesig, groß wie ein Berg, ließ Gewitter über die Lande toben oder schickte Frösche und Heuschrecken zu den Bauern, die deren Ernte fraßen, fett
wurden und zurück zu Grusilla kamen, welche sie dann trocknete und für ihre Zaubertränke benutzte.
Manchmal befahl sie ihren Skorpionen Tiere oder sogar Menschen zu töten. Diese verwendete sie dann für besonders bösartige Tränke, gerade sammelte sie besonders viele Zutaten für eine Versteinerungstrank. Grusilla verfolgte einen Plan mit ihrem Tun: Sie wollte ihre Schwester Gramilla zurückhaben, welche – aufgrund ihrer Bösartigkeit – von der guten Hexe Malina versteinert worden war. Malina hatte nämlich vor, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und alle bösen Hexen zu versteinern, was ihr im Rat der guten Hexen das Amt der Ministerin eingebracht hatte. Grusilla wollte ihre Schwester retten, und dafür gab es – nach ihrem schlauen Hexenbuch – nur zwei Möglichkeiten: Malina töten oder jemand anderen Bösen versteinern. Malina jedoch war sehr mächtig, deswegen war es Grusilla
nicht möglich sie zu töten, so sehr sie sich auch anstrengte.
Grusilla hatte schon viele Geschichten über die sagenhafte Bösartigkeit des Krokodils zu Ohren gehört, und als sie das Krokodil vor ihrem Häuschen erblickte, sah sie in diesem Tier einen Ausweg: Das Krokodil musste versteinert und Gramilla dadurch erlöst werden. Grusilla nahm ihren Hexenstab, schwang ihn über ihrem Kopf und rief: „Skorpione, fangt das Tier und bringt es zu mir!“ Die Skorpione taten wie ihnen geheißen. Aber Grusilla merkte bald, dass das Krokodil lange nicht so böse war wie sie und ihre Schwester, und damit der Zauber wirkte, musste das Krokodil genauso bösartig sein wie Gramilla, um diese aus ihrer Versteinerung zu befreien.
Wütend wollte Grusilla das Tier ihren Skorpionen zum Fraß vorwerfen, als ihr einfiel, dass sie das Tier einfach wachsen lassen müsste, denn dann würde auch dessen Bösartigkeit wachsen. Sie rief: „Umbalida, Umbalida, Umbalida maga, gu tum gur inkulara, olbanara, olbanara, olbanara gurte, Grusilla!“ Nachdem sie diesen Zauberspruch gesagt hatte, war das Krokodil riesenhaft angeschwollen. Als das Krokodil sah, wie groß es geworden war und wie Grusilla den Zauberstab schwang, bekam es Angst und stampfte, so schnell es seine Größe und sein Gewicht zuließen, los, denn es wollte nicht versteinert werden. Woher es von dieser Gefahr wusste? Ganz einfach, nicht nur seine Bösartigkeit, sondern auch sein Gehirn war mitgewachsen. Aber Grusilla war zu schnell. Als das Krokodil dort angekommen war, wo heute die Alpen sind, hatte sie es erreicht, versteinerte es – und die Alpen waren entstanden.
Aber unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende: In Folge der Versteinerung des Krokodils tauchte Gramilla endlich neben Grusilla auf: Aber… sie war nicht so bösartig, wie Grusilla sie in Erinnerung gehabt hatte, im Gegenteil, sie war herzensgut. „Hä?“, machte Grusilla verdattert, aber da fiel ihr ihr Denkfehler auf: Im Hexenbuch hatte gestanden, dass jede Hexe, die aus einer Versteinerung erlöst wird, die jeweils andere Seite einnehmen würde: Aus bösen werden so gute und aus guten böse Hexen. Als Grusilla diesen Fehler erkannt hatte, flüchtete sie hektisch und voller Angst auf das versteinerte Krokodil, damit ihre Schwester, die jetzt ja gut geworden war und deshalb bei Malinas Plan mitwirken würde, sie nicht versteinern konnte. Aber da war es schon zu spät: Gramilla versteinerte ihre böse Schwester. Und den Berg, der dabei mitten in den Alpen entstand, kann man noch heute bei Berchtesgaden besichtigen: Er wird die „schlafende Hexe“ genannt.
Und das ist die Geschichte von Severin, der den Sonderpreis für die farbenprächtigste Geschichte bekommen hat:
Das Kinderzimmermonster
Dieser erste Ferientag wird nicht so, wie ich ihn mir vorstelle. Denn ein Monster war in meinem Zimmer. Es hat mich aufgeweckt und hat meine Socken geklaut. Es hat das Bett mitgenommen, mein Sofa und mein Lieblingskuscheltier. Ich bin ihm hinterher gerannt. Das Monster ist in eine riesige Höhle geflohen, in der ganz viele andere Monster waren. Jedes Monster hatte riesige Glubschaugen, Beine so dick wie ein Baumstamm und einen Körper so dick wie ein
Kühlschrank. Ich bin aus der Höhle gerannt und habe im Wald meinen Freund Daniel gefunden. Er hat nämlich einen Hammer und darum konnte ich ihn gut gebrauchen. Ich bin mit Daniel zur Höhle gelaufen. Daniel hat auf die Höhle
gehauen und Geröll ist von der Höhle herunter gefallen. Der Ausgang wurde versperrt. Daniel hat mir einen Weg in die Schatzkammer gebuddelt. Dort habe ich mein Kuscheltier genommen und bin hinaus gelaufen. Aber alle Monster sind mir gefolgt. Sie haben das Kuscheltier zurückerobert und sind weggelaufen. Sie sind in einen hohlen Baum gelaufen und dann durch eine riesige Wurzel in eine riesige Höhle gekommen. Daniel und ich haben sie verfolgt. Daniel hat mit dem Hammer ein Loch gehauen, das war dann wie eine Türe. Dann sind wir hinein. Wir sind dann aber leider durch eine
Falltüre ins Verlies gefallen. Daniel hat seinen Hammer genommen und hat die Gitterstäbe kaputt gehauen.
Dann sind wir den Stimmen der Monster gefolgt und sind ihnen in einen Saal gefolgt. Dort saß ein Monster auf einem Thron. Sein Bauch war so groß wie ein Haus, seine Beine so dick wie Säulen und seine Augen so groß wie Teller. Wir sind auf das Monster zugelaufen und haben die Krone gestohlen. Dann sind wir weggerannt und alle Monster haben uns verfolgt. Dieses Mal sind wir über die Falltüre gesprungen aber die Monster sind nicht so schlau und sind durch die Falltüre gefallen.
Ich habe gesagt: „Ich lasse euch nur frei und gebe euch die Krone, wenn ihr mir mein Kuscheltier wieder gebt und ihr nie wieder anderen etwas klaut!“ Die Monster nehmen den Tausch an und dürfen aus dem Verlies. Danach bin ich mit Daniel durch den Baum in mein Zimmer. Ich habe die Monster nie wieder gesehen.
(Zeichnung von Severin)
Das ist die Geschichte von Aurelia, die einen Sonderpreis erhalten hat, weil sie die feinfühligste aller Geschichten geschrieben hat:
Wenn die Welt sich nicht mehr anhört
Auf der Landkarte sehen die Alpen aus wie ein Krokodil. Ein kleines Dorf sieht so aus wie das Auge des Krokodils. Und in der Mitte dieses kleinen Bergdorfes, da lebte ich. Im Winter war es hier wunderschön, und am allerschönsten war es an Silvester. Dann saßen meine Eltern und ich immer dick eingepackt auf unserer Dachterrasse, aßen spät zu Abend und warteten bis das Feuerwerk losging. So auch jetzt. Ich liebte das. Doch dieses Jahr war etwas anders als in den letzten Jahren.
Da machten meine Eltern mich auf sich aufmerksam, bevor sie mir mit Zeichen zu verstehen gaben, dass sie runter gehen und Wein holen wollten. Ich nickte als Antwort. Ich sah den beiden nach, bis sie die Treppe hinunter gegangen waren und verschwunden waren. Dann wandte ich mich wieder dem Himmel zu. Ich fühlte mich irgendwie einsam und allein in der Dunkelheit. Plötzlich zischte ein kleiner Lichtblitz von der Straße her in den Himmel. Mit einem faszinierten Lächeln sah ich dabei zu wie der Feuerwerkskörper rot explodierte und den Himmel zum Leuchten brachte.
Ich spürte eine leichte Vibration unter meinen Füßen und roch Rauch in der Luft. Und ich hörte… nichts. Das war mein erstes Feuerwerk, seit ich letzten Frühling mein Gehör verloren hatte. Ich ging zum Rand unserer Dachterrasse und blickte auf die Straße. Immer mehr Leute zündeten nun ihr Feuerwerk und der Himmel wurde immer bunter. Der Boden vibrierte leicht und die Luft wurde immer rauchiger. Früher hatte ich mir immer gewünscht, dass das Feuerwerk nicht so laut sein sollte. Zum ersten Mal seit der Krankheit, die mir mein Gehör genommen hatte, dachte ich darüber nach, ob mir meine Taubheit vielleicht auch Vorteile brachte.
Die letzten Jahre waren schlimm für mich gewesen. Zuerst hatte ich immer weniger gehört, dann hatten die Ärzte mich untersucht und von meiner Krankheit erfahren, und dann war ich schließlich komplett taub geworden. Und es gab kein Zurück, es war unheilbar. In dieser Zeit hatte ich viele Probleme gehabt und oft geweint. Viele meiner Freunde hatten sich von mir abgewandt, da es jetzt schwieriger war, mit mir zu kommunizieren und zusätzlich musste ich von da an immer in der Schule von einem Dolmetscher für Gebärdensprache begleitet werden. Doch jetzt war ein schöner Moment, eine schöne Nacht und Morgen würde ein neuer Tag beginnen. In einem neuen Jahr. Zeit für einen Neuanfang.
Da spürte ich einen Arm in meinem Nacken. Ich drehte mich um. Dort stand meine Mutter und reichte mir grinsend ein Weinglas mit Orangensaft. Ich grinste zurück und nahm das Glas. Jetzt legte mir auch mein Vater von der anderen Seite den Arm auf die Schultern. Zu dritt schauten wir in den Nachthimmel hinauf, der vor Farben schier explodierte. In diesem Moment hob meine Mutter ihr Weinglas und ich wusste, dass es zwölf Uhr war und ein neues Jahr begann. Es war seltsam kein Glasklirren zu hören, aber es war auch irgendwie lustig. Für einen kurzen Moment hielten die Leute auf den Straßen inne, dann begannen sie wieder von neuem Feuerwerk zu zünden, und der Himmel verwandelte sich wieder in ein wogendes Farbenmeer. Der Boden bebte wieder, und die Luft roch zunehmend nach Rauch.
Wir drei standen dort, bis das Feuerwerk langsam verebbte, und sich all die neuen Sterne einen Platz am Himmel suchten.